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 Theo und Felix

Barbara

"Das Problem seid ihr, nicht wir" (Barbara B.)

Die Hauptpersonen dieser Geschichte:
Helmut Mьller, Privatdetektiv. Bei diesem Fall lernt er viel ьber sich selbst.
Bea Braun, seine Sekretдrin und Mitarbeiterin. Sie meint, dass dies ihr bisher interessantester Fall sei.
Barbara Bцhm, Angestellte einer Berliner Firma, muss nach einem Autounfall lernen, mit dem Rollstuhl zu leben.
Menschen wie du und ich: Verkдufer, Taxifahrer, Disco-Besucher, U-Bahn-Gдste, ...

1
Seit drei Stunden schneit es ununterbrochen. Dicke, weiche Flocken fallen auf die Erde und bedecken die Landschaft, die Bдume, die Wiesen, die StraЯen. Barbara blickt aus dem Fenster ihres Bьros. So ein Pech, denkt sie. Bei diesem Wetter muss ich jetzt bis nach Hannover fahren. Zehn Minuten spдter ist Bьroschluss, und dann geht's ins Wochenende. Sie rдumt ihren Schreibtisch auf und verabschiedet sich von den Kolleginnen und Kollegen ihrer Abteilung.
"Bis Montag, Barbara. Schцnes Wochenende!" sagt ihr Chef. "Was haben Sie denn vor?"
"Ich muss meine Mutter in Hannover besuchen, ihr geht es nicht so gut."
"Bei dem Wetter? Na, dann viel SpaЯ, aber Vorsicht! Dieses Schneetreiben ist gefдhrlich! Fahren Sie ja langsam!"
"Schon gut. Ich passe schon auf! Wiedersehn!"
Barbara geht zum Parkplatz, sдubert die Scheiben ihres Wagens, steigt ein und fдhrt los. Als sie auf der Autobahn ist, ist es schon dunkel. Das Schneetreiben wird immer schlimmer. Die Sicht ist sehr schlecht und die Fahrbahn vom Schnee bedeckt. Es sind nur wenige Autos unterwegs. Vor ihr fдhrt ein Lastwagen. Barbara will ьberholen und betдtigt den Blinker. Als sie bemerkt, dass der Lastwagen plцtzlich die Spur wechselt, ist es zu spдt. Sie versucht, schnell nach rechts auszuweichen, und tritt auf die Bremse. Aber der Wagen kommt ins Schleudern und kracht gegen die Leitplanke. Dann verliert Barbara das Bewusstsein.

2

"Hallo! Wie geht es Ihnen? Mein Name ist Brock, ich bin der Stationsarzt."
"Was? Wo bin ich? Was ist passiert?" Barbara цffnet langsam die Augen und betrachtet ihre Umgebung. WeiЯe Wдnde, ein weiЯes Bett, ein weiЯgekleideter Mann steht vor ihr. Dann erinnert sie sich. Der Unfall! Der Laster, die Autobahn, der Schnee, der Krach ...

"Sie sind im Kreiskrankenhaus in Wolfsburg. Sie wurden vor ein paar Stunden hier eingeliefert. Wir haben Sie inzwischen operiert. War gar nicht so einfach. Aber jetzt ruhen Sie sich erst mal aus, versuchen Sie, noch ein bisschen zu schlafen."
"Und was ist mit mir? Mein Rьcken! Meine Beine!" Barbaras Stimme klingt дngstlich.
"Tja, Frau Bцhm, wie gesagt, wir mussten Sie operieren. Ich hoffe, alles wird wieder gut. Aber jetzt schlafen Sie erst mal. Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie einfach. Dann kommt sofort eine Krankenschwester."

Der Arzt zeigt auf einen Klingelknopf neben dem Kopfende des Bettes.
Barbara ist mьde und kann nicht mehr weitersprechen.

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Barbaras Aufenthalt im Krankenhaus dauerte fast acht Wochen. Bei dem Aufprall gegen die Leitplanke hat sie sich mehrere Rьckenwirbel angebrochen, und dabei wurde der Nervenstrang, der die Beine versorgt, verletzt. Zuerst konnte sie es nicht glauben, aber eines Tages war es sicher: Sie ist gelдhmt. Sie wird nie wieder laufen kцnnen. Nie wieder tanzen kцnnen, kein Tennis, kein Skifahren. Jede Treppe wird fьr sie ein unьberwindliches Hindernis sein. Sie ist ein Krьppel!

Sie wurde mit einem Spezialfahrzeug nach Berlin transportiert. Dort war sie noch einmal zwei Monate in einer Rehabilitationsklinik. Sie lernte, sich zu bewegen, lernte, im Rollstuhl zu fahren, machte Spezialgymnastik. Gleichzeitig wurde ihre Wohnung vollstдndig umgebaut, dami
 

 t sie sich mit ihrem Rollstuhl bewegen konnte.
In ihrer Firma gab man ihr einen neuen Arbeitsplatz in der Buchhaltung. Alle Kollegen waren sehr nett zu ihr, aber Barbara spьrte, wie selbst ihre besten Freunde sich langsam von ihr zurьckzogen. Nicht, dass keiner sie mehr mochte. Nein, nein, aber nach Feierabend gab es niemanden, der mit ihr etwas zusammen machen wollte. Die einen gingen ins Kino, die anderen spielten Tennis oder fuhren ins Grьne. Anfangs fand sie das auch normal. Wer wollte schon mit einem Krьppel ausgehen! Eine behinderte Frau im Rollstuhl! Aber dann wollte sie das nicht mehr Iakzeptieren. Sie wollte leben wie die anderen auch.

Sie wollte ausgehen, ins Kino gehen, sie wollte die gleichen Rechte haben wie andere auch.
Da kam ihr eine Idee ...

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"Detektivbьro Mьller. Bea Braun am Apparat. Guten Tag! ... Ja, gerne. Wir kцnnen einen Termin ausmachen. ... Ja gut, kommen Sie doch einfach morgen gegen 11 Uhr vorbei. Haben Sie unsere Adresse? ... Ja, im zweiten Stock ja, auch. ... Gut, bis morgen, Wiederhцren."

Bea macht sich Notizen und geht ins Zimmer von Helmut Mьller, ihrem Chef. Seit einigen Jahren ist sie Sekretдrin, Mitarbeiterin, Kollegin, kurz: Mдdchen fьr alles im Detektivbьro Mьller. Sie organisiert die Buchhaltung, erledigt die Post, bedient das Telefon, und oft hilft sie ihrem OIef auch bei den Ermittlungen. Ihr macht der Job viel SpaЯ, er ist interessant, manchmal sogar aufregend.

"Chef, gerade kam ein Anruf von einer Frau Barbara Bцhm. Sie mцchte mit Ihmen sprechen und kommt morgen gegen 11 Uhr vorbei. Sie hat eine ganz nette Stimme, aber irgendwie kommt sie mir merkwьrdig vor."
"Wieso merkwьrdig, Bea?" Mьller legt die Berliner Zeitung weg und schaut seine Mitarbeiterin an. Er hat in den Jahren der Zusammenarbeit mit Bea Braun gelernt, ihre Kommentare ernst zu nehmen, besonders wenn es um Gefьhle und Eindrьcke geht. Meistens hatte Bea mit ihren intuitiven Einschдtzungen recht behalten.

"Tja, so richtig weiЯ ich auch nicht warum. Die Dame fragte zum Beispiel, in welchem Stock unser Bьro liegt. Und ob es einen Aufzug gibt."
"Hm, das scheint mir allerdings auch merkwьrdig. Hat sie denn gesagt, was sie von uns will?"
"Nein, sie mцchte das morgen mit Ihnen besprechen."

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Pьnktlich um 11 Uhr des folgenden Tages klingelt es, und automatisch drьckt Bea Braun auf den Summer, der die Haustьr цffnet.
Als es dann noch einmal klingelt, nimmt sie den Hцrer der Gegensprechanlage ab.
"Ja, bitte?"
"Ich bin Barbara Bцhm. Kцnnte vielleicht jemand runterkommen und mir helfen? Ich bekomme die Tьr nicht auf."
"Ja, ich komme sofort", sagt Bea und legt den Hцrer auf.
"Chef, die Frau Bцhm ist da und sagt, sie kriegt die Tьr nicht auf. Das wird ja immer komischer mit dieser Frau. Wieso kommt die denn nicht rein wie jeder andere auch?"
"Merkwьrdig, merkwьrdig. Bea, Sie bleiben hier und ich gehe. Man kann nie wissen!"
"In Ordnung. Seien Sie aber vorsichtig!"

Mьller nimmt statt des Aufzugs die Treppe und geht langsam die zwei Stockwerke runter bis ins Parterre. Im Flur steht niemand. Aber durch die Milchglastьr des Eingangs sieht er die Silhouette einer Figur. 'Sieht aus, als ob da jemand vor der Tьr sitzt', denkt er.
Er geht zum Eingang und цffnet. Vor ihm sitzt Barbara Bцhm in ihrem Rollstuhl.
"Oh!"
"Wieso 'oh'? Haben Sie noch nie eine Frau im Rollstuhl gesehen? Mein Name ist Barbara Bцhm. Sind Sie Detektiv Mьller? Guten Tag!" Sie reicht Mьller die rechte Hand und dreht mit der linken am Rad ihres Rollstuhls, um das Gefдhrt Richtung Tьr zu bewegen.
"Guten Tag!" Mьller
 

 lдchelt verlegen und versucht, seine Beschдmung zu verbergen. "Kann ich Ihnen helfen? Warten Sie, ich glaube, wir mьssen die Tьr ganz aufmachen."
"Sie kцnnen Ihrem Hausbesitzer mal sagen, er soll eine vernьnftige Tьr einbauen lassen. Durch so eine enge Tьr kommt ja kein Mensch durch!"
Als die beiden dann vor dem Fahrstuhl stehen, ergibt sich das gleiche Problem.
"Sehen Sie, Herr Mьller, was diese Leute heutzutage fьr Fahrstьhle bauen? Alles ohne an uns Behinderte zu denken. Versuchen Sie mal, den Stuhl hinten hochzuheben und dann zu drehen, vielleicht klappt's dann."

Nach einigem Hin und Her sind die beiden dann im Fahrstuhl und schlieЯlich auch in Mьllers Bьro.

"Warum haben Sie denn gestern am Telefon nichts gesagt? Ich wдre doch selbstverstдndlich zu Ihnen gekommen. Dann hдtten Sie sich die Mьhe sparen kцnnen, hierher zu kommen!" sagt Mьller.
"Warum sollte ich? Erstens bin ich nicht ans Bett gefesselt, sondern kann mich normal bewegen, und zweitens haben Sie so gelernt, wie idiotisch man bei uns Hдuser baut. Keiner denkt an Behinderte in unserer Gesellschaft. Also mьssen wir Behinderten die Gesellschaft auf uns aufmerksam machen! Zum Beispiel Sie, Herr Mьller:
Sicher sind Sie schon tausendmal unten durch die Eingangstьr gegangen und haben den Lift benutzt. Und? Haben Sie schon einmal daran gedacht, ob diesen Lift jemand mit einem Rollstuhl benutzen kann? Seit heute wissen Sie mehr!"
Ironisch lдchelnd sieht Barbara den Detektiv an.
Mьller fьhlt sich etwas unsicher. Die Dame hat schon Recht, aber was kann er dafьr? Er sagt:
"Und was fьhrt Sie zu mir?"

"Nun, ich habe mich informiert, welche Detekteien es in Berlin so gibt, und fьr mein Vorhaben, glaube ich, ist Ihre Firma gerade die richtige. Schauen Sie, ich habe jetzt 14 Tage Urlaub, und den muss ich dieses Jahr hier verbringen. Also will ich etwas Nьtzliches tun, und dabei sollen Sie mir helfen. Ihre Mitarbeiterin kann doch fotografieren, oder?"
"Das gehцrt zu unserer Grundausbildung, Frau Bцhm. Aber was sollen wir denn nun machen?"
"Also, ich mцchte eine Reportage ьber behindertenfeindliche Firmen machen. Dabei brauche ich Sie als Zeugen, wenn es Komplikationen gibt. Ich brauche Sie als Beobachter, Fotografen, Toningenieur, Rechercheur und mцglicherweise als Beschьtzer. Nehmen Sie den Auftrag an?"
Bea Braun, die die ganze Zeit zugehцrt hat, nickt heftig mit dem Kopf. Sie schдmt sich auch ein biЯchen, weil sie die Frau am Telefon und an der Sprechanlage als komisch und merkwьrdig empfunden hatte. AuЯerdem gefдllt ihr die energische Art, wie Barbara Bцhm ihre Situation anpackt. Einen Moment stellt sie sich vor, wie das sein muss, in so einem Rollstuhl zu sitzen, dann sagt sie:
"Selbstverstдndlich nehmen wir den Auftrag an, nicht wahr, Chef?"
Mьller ist ebenfalls einverstanden und sagt:
"Ich weiЯ zwar noch nicht genau, womit wir Ihnen helfen kцnnen, aber das werden wir ja dann schon merken."

6

Und so war es auch. Schon am ersten Tag ihrer Zusammenarbeit kamen sich die beiden Detektive vor wie zwei Blinde, die mit Hilfe von Barbara sehen lernen mussten. '

Barbara Bцhm erklдrt den beiden die Arbeit:
"Also, hier ist der heutige Plan. Das Thema ist Transport und Einkaufen. Sie, Frau Braun, stellen sich auf die andere StraЯenseite und fotografieren mich, wie ich versuche, ein Taxi zu bekommen.
Dann fahren wir zum Einkaufszentrum SCHNELLKAUF. Dort werde ich im ersten Stock versuchen, einige Sonderangebote im Sommerschlussverkauf zu erstehen. Da mьssen Sie dann ziemlich dicht bei mir stehen, Herr Mьller, denn ich mцchte, dass Sie die Gesprдche mit den Verkдufern mit dem Record
 

 er aufnehmen. Danach fahren wir in die Lebensmittelabteilung. Die Rьckfahrt mache ich dann mit der U-Bahn. Auch da mьssen Sie fotografieren und Gesprдche mitschneiden. Alles klar?"
"Alles klar."
Mьller steckt sich einen Walkman in die Brusttasche seiner Jacke und klemmt ein kleines Mikrophon daran. Bea nimmt einen Fotoapparat mit Teleobjektiv und stellt sich an die StraЯe.

Barbara fдhrt ihren Rollstuhl ьber die StraЯe und bleibt am Rande stehen. Nach zwei Minuten kommt ein Taxi langsam die Wilmersdorfer StraЯe runtergefahren. Barbara winkt, aber das Taxi hдlt nicht. Bea fotografiert. Dann wieder ein Taxi. Als der Fahrer die Behinderte sieht, gibt auch er Gas und fдhrt weiter.

"Das gibt es doch gar nicht. So einem muss man doch die Lizenz wegnehmen. Ungeheuerlich!"
Wьtend beobachtet Mьller, wie der Fahrer nur zwanzig Meter weiter hдlt und eine junge Frau mitnimmt, die gerade aus einem Geschдft kommt.
Erst das dritte Taxi hдlt. Der Fahrer steigt aus und steht dann etwas ratlos vor Barbara. Mьller schaltet den Recorder ein und stellt sich neben die beiden.

"So, junge Frau, und wie kriege ich Sie jetzt in den Wagen? Sie sind die erste Rollstuhlfahrerin fьr mich, wissen Sie?"
"Halten Sie einfach meinen Stuhl fest. Ich ziehe mich dann auf den Sitz hinten. Dann klappen Sie den Stuhl zusammen und tun ihn in den Kofferraum. Das ist alles."

Mьller und der Taxifahrer staunen, wie flink und geschickt Barbara sich in das Taxi zieht.

Dann sieht Mьller lдchelnd zu, wie der Taxifahrer versucht, den Rollstuhl zusammenzuklappen. 'Gar nicht so einfach', denkt Mьller. Nach einigem Hin und Her hat der Fahrer es aber dann doch geschafft und legt den Rollstuhl in den Kofferraum.

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Als das Taxi vor dem Einkaufszentrum SCHNELLKAUF ankommt, steht Bea Braun schon da. Den Fotoapparat bereit und mit montiertem Teleobjektiv beobachtet sie, wie der Taxifahrer versucht, den Rollstuhl wieder aufzuklappen.
Spдter erzдhlt Barbara den beiden Detektiven ihr Gesprдch mit dem Fahrer:

"Zuerst musste ich ihm erklдren, wie man den Rollstuhl aufklappt. Dann hatte er vergessen, die Bremse festzumachen. Der arme Junge war vцllig fertig, als ich ihm sagte, dass ich meinen Ann um seinen Hals legen werde und er mich dann so aus dem Auto ziehen soll. Aber dann hat er das gemacht und mich wirklich wieder gut in meinen Stuhl gesetzt. Er hatte wohl ein bisschen Angst, mich zu berьhren, der Arme! Haben Sie auch schцn fotografiert, Bea?"
"Ja, ja, ich glaube, die Aufnahmen sind gut geworden." Bea wirkt etwas unsicher. 'Das ist der sonderbarste und vielleicht auch interessanteste Auftrag, seit das Bьro existiert', denkt sie.

"So, und jetzt gehen wir einkaufen! Mal sehen, was es so an Sonderangeboten gibt." Mit einigen krдftigen StцЯen schiebt Barbara den Rollstuhl Richtung Eingang. Am Informationsschalter erkundigt sie sich nach dem Fahrstuhl. Mьller und Bea Braun steigen ebenfalls ein. Nach dem Aussteigen im ersten Stock gehen die bei den Detektive einige Schritte hinter Barbara, damit niemand merkt, dass sie zusammengehцren. Schon nach wenigen Metern das erste Hindernis: Ein groЯer Tisch mit Pullovern und einem Schild steht mitten im Weg. Barbara kommt nicht weiter. Sie sucht eine Verkдuferin. Mьller stellt sich dicht neben die beiden, damit er das Gesprдch mitschneiden kann.

"Hallo, entschuldigen Sie, ich mцchte hier vorbei und komme mit meinem Rollstuhl nicht durch!" ruft Barbara der Verkдuferin entgegen.
"Tja, dann mьssen Sie eben woanders lang fahren. Ich kann den Verkaufstisch nicht wegen Ihnen wegschieben. Da krieg ich nur Arger!" antwortet die Verkдuferin.
"Na, Sie sind gut! Und wo bitte? Ich will hier ja nicht spazieren fa
 

 hren, sondern einkaufen. Da muss der Gang doch schlieЯlich frei sein. Wenn Sie den Tisch hier nicht wegschieben wollen, dann rufen Sie doch Ihren Abteilungsleiter!"
Die Verkдuferin ist jetzt ziemlich nervцs. Sie blickt in Richtung Kasse und winkt einem Mann.
"Herr Broder, diese Dame hier hat Probleme mit ihrem Rollstuhl!" sagt die Verkдuferin und ist sichtlich froh, nicht mehr allein zu sein.
"Moment mal, ich habe keine Probleme mit dem Rollstuhl, Sie haben ein Problem mit dem Verkaufstisch!" Barbaras Stimme klingt jetzt energisch.
"Tut mir Leid, meine Dame, aber die Verkaufstische mьssen stehen bleiben. Das sind Sonderangebote, und wir wollen, dass die Kunden diese Tische auch finden. Fahren Sie doch woanders lang!"
Der Herr im dunkelblauen Anzug mit Namen Broder wendet sich ab und geht, die Verkдuferin ebenfalls.

"Haben Sie das Gesprдch mitgeschnitten?" fragt Barbara den Detektiv. I
"Alles klar, Band lдuft", antwortet Mьller.
"Und ich habe sogar heimlich einige schцne Fotos gemacht, wie Sie vor dem Tisch stehen und nicht weiterkommen und wie dieser Herr Broder vor Ihnen steht", ergдnzt Bea.
"Wunderbar, dann fahren wir jetzt mal in die Lebensmittelabteilung", sagt Barbara und rollt Richtung Fahrstuhl.

8

IBeim Einkaufen der Lebensmittel gibt es keine Probleme. Nur beim Zahlen an der Kasse wird es wieder eng. Barbara muss an einen Extra-Schalter, weil die normalen Kassen zwar genug Platz fьr einen Einkaufswagen bieten, aber nicht fьr ihren Rollstuhl. Die Kassiererin legt dann die Sachen in ein Netz, das an der Rьckenlehne des Rollstuhls befestigt ist, und Barbara fдhrt auf die StraЯe.
Die U-Bahnstation neben dem Einkaufszentrum hat einen Fahrstuhl, so dass sie ohne Probleme auf den Zug warten kann. Das Einsteigen ist schon schwieriger, denn die Tьr des Zuges ist etwas hцher als der Bahnsteig. Aber ein junger Mann hilft ihr. Bea fotografiert, und Mьller versucht, Gesprдche der Fahrgдste aufzunehmen. Spдter, in Barbaras Wohnung, hцren sie dann gemeinsam die Cassette ab:
"... soll doch mit dem Taxi fahren..."
" ... zu Hause bleiben ..."
"... das muss aber schwierig sein, so spazieren zu fahren ..."
" … armes Mдdel …"

"Ja, ja, armes Mдdel, das hцre ich schon manchmal. Einige Menschen haben Mitleid mit uns Behinderten, aber nur ganz wenige wollen uns akzeptieren, wie wir sind." Barbara bewegt sich mit ihrem Rollstuhl Richtung Kьche und beginnt auszupacken.

Helmut Mьller und Bea Braun schweigen und sehen sich an. Beide denken das gleiche: Und wir? Wie verhalten wir uns? Der erste Tag mit Barbara Bцhm war fьr die beiden eine wichtige Erfahrung. Sie haben begonnen, ihr eigenes Leben und das der Behinderten mit anderen Augen zu sehen.

"Ach, ьbrigens", ruft Barbara aus der Kьche, "morgen Abend gehen wir in die Disco! Wir treffen uns um 23 Uhr Ecke SpichernstraЯe / Bundesallee. Tschьs, bis morgen!"

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"Mann oh Mann, hat die Frau Mut!" Bea Braun ist ganz begeistert. "Wie die mit dem Abteilungsleiter gesprochen hat! Wie die dem gesagt hat, dass nicht der Rollstuhl das Problem ist, sondern der Verkaufstisch, das war einfach klasse!"

Mьller wirkt sehr nachdenklich. Eine Weile sagt er nichts, dann meint er:
"Mut hat sie schon, aber das mit der Disco finde ich etwas ьbertrieben."
"Wieso?"
"Na ja, was soll denn eine Rollstuhlfahrerin in einer Disco? SchlieЯlich kann sie doch nicht mit dem Rollstuhl tanzen!"
"Na und? Aber vielleicht gefдllt es ihr, Musik zu hцren, die Leute zu beobachten, etwas zu trinken, in Gesellschaft zu sein!"
"Na, ich weiЯ nicht, ich weiЯ nicht."
 

 Mьller bleibt skeptisch.
"Aber Chef, haben Sie denn heute gar nichts gelernt? Das Problem sind nicht die Behinderten, sondern wir, die Gesellschaft. Uns ist es peinlich, wenn ein Behinderter die gleichen Interessen und Bedьrfnisse wie wir hat. Warum soll eine behinderte Frau, nur weil sie im Rollstuhl sitzen muss, nicht Discomusik mцgen?"
"Hm, ja schon. Na ja, wir werden ja sehen ...Also, jetzt arbeiten wir erst mal ein bisschen. Sie lassen die Fotos entwickeln, und ich schreibe die Gesprдche von der Cassette ab und notiere die Orte, wo wir gewesen sind. Wir machen so etwas wie ein Tagebuch. Dann kann Frau Bцhm das als Grundlage fьr ihre Reportage benutzen. AuЯerdem habe ich Hunger. Wollen wir zusammen essen gehen?"

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Am nдchsten Abend stehen alle drei pьnktlich am ausgemachten Treffpunkt. Mьller soll mit Barbara zur Disco gehen, und Bea wird in einiger Entfernung Fotos machen. Der Detektiv schaltet seinen Cassettenrecorder ein, und wenig spдter stehen die bei den vor dem Eingang der Discothek.
Mьller klingelt, worauf der Tьrsteher ein kleines Fenster in der Tьr цffnet. Als er Mьller sieht, sagt er:
"O.k., Mann, komm rein!"
Er цffnet die Tьr und sieht dann erst.Barbara im Rollstuhl.
"Was soll das denn? Soll das em Witz sein? Was wIll die denn hier?" fragt er, zu Mьller gewandt.
"Ich will in die Disco! Ist was? Haben Sie noch nie einen Rollstuhl gesehen?" Barbara fдhrt ihren Rollstuhl Richtung Eingang.
"He, Moment mal, da kommen Sie nicht rein!" Der Tьrsteher versperrt der Behinderten den Weg.
"Na hцren Sie mal, lassen Sie sofort die Dame rein!" Mьller ist empцrt.
"Nein!"
"Das ist ja Rassismus!"
"Kann schon sein. Schwarze und Tьrken kommen hier auch nicht rein. Und wenn Sie hier Дrger machen, kommen Sie auch nicht rein, verstanden?"
Barbara rollt ihren Stuhl zurьck. "Lassen Sie nur, Herr Mьller, das genьgt mir schon. Ist nicht das erste Mal."
Die beiden ziehen sich bis zur nдchsten StraЯenecke zurьck, wo sie Bea Braun treffen.
"Na, haben Sie alles schцn aufgenommen? Ein lustiges Gesprдch war das, nicht wahr? Und Sie, Bea? Fotos gemacht?"
Mьller ist immer noch wьtend und schimpft vor sich hin. Bea sagt nichts, nickt nur mit dem Kopf. Sie schдmt sich fьr diese Leute, die so gemein handeln kцnnen.

11

Die drei fahren anschlieЯend in die Discothek SCHUBIDU in den Ostteil der Stadt. Bea Braun kennt hier einige Leute und weiЯ auch, dass am Eingang keine Kontrollen durchgefьhrt werden.

SchlieЯlich sitzen alle drei an einem kleinen Tisch in der Nдhe der Tanzflдche. Zwar gibt es einige Leute, die etwas merkwьrdig schauen, als Barbara mit ihrem Rollstuhl durch die Kneipe fдhrt, aber niemand sagt etwas.
Die Musik ist gut, der Discjockey mischt neueste Disco-musik mit alten Platten von den Rolling Stones und den Beatles. Als aus den Lautsprechern 'Satisfaction' tцnt, sieht Barbara den Detektiv an und sagt:
"Na, wollen wir tanzen?"
Mьller spьrt, wie er knallrot wird. Auch das noch. Er tanzt sowieso nicht gern, er findet sich zu dick und zu alt und ьberhaupt. Aber jetzt? Was soll er tun? Wenn er ablehnt, denkt Barbara wahrscheinlich, es ist ihm peinlich. Aber wie soll er mit einer Frau im Rollstuhl tanzen? Er weiЯ nicht aus noch ein.

"Prima Idee", sagt Bea, "ich tanze mit." Sie stцЯt Mьller heimlich an, steht auf und schiebt Barbara im Rollstuhl auf die Tanzflдche. Mьller geht langsam hinterher. Und dann fangen alle drei zu tanzen an. Mьller ein bisschen langsam und unbeweglich, Bea Braun ziemlich wild, und Barbara? Und wie sie tanzt! Natьrlich bleibt sie in ihrem
 

 Stuhl sitzen, aber bewegt umso toller ihre Arme, den Kopf, den Oberkцrper. Sie klatscht im Rhythmus der Musik in die Hдnde, schnippt mit den Fingern, wiegt ihren Kцrper zur Musik und rollt den Stuhl im Kreis, vor und zurьck, harmonisch zur Musik und den Bewegungen der beiden Detektive.
AuЯer den dreien bewegt sich niemand auf der Tanzflдche. Alle anderen haben aufgehцrt und stehen im Kreis um die drei; Mьller schwitzt fьrchterlich, Bea dreht sich wie ein Kreisel und Barbara rollt lachend ihren Kopf. Dann ist die Musik zu Ende. Nach einigen Sekunden beginnt jemand zu klatschen. Und dann klatscht das ganze Lokal!

"Super!" "Prima!" "Phantastisch!" "Richtig so!"
Lachend und glьcklich bewegen sich die drei wieder an
ihren Tisch. Bea schiebt den Stuhl, und Barbara ruft:
"Und jetzt mцchte ich was zu trinken!"

Helmut Mьller betrachtet die Frau, wie sie schwitzend im Rollstuhl sitzt, zufrieden lдchelnd und selbstbewusst. Ihr langes braunes Haar fдllt ihr in Strдhnen ins Gesicht. 'Was fьr ein schцnes Gesicht sie hat', denkt er. Er betrachtet ihre breiten Schultern, ihre starken Arme. 'Fast wie eine Sportlerin sieht sie aus', denkt er. 'Wie alt mag sie sein? 35? 40? Wie war ihr Leben vor dem Unfall? Ob ich sie danach fragen kann? Oder wьrde sie diese Frage verletzen?' Mьller fragt nicht. Statt dessen sagt er:
"Schade, dass wir kein Foto gemacht haben. Sie sahen wunderbar aus beim Tanzen, Frau Bцhm."

Bea Braun lдchelt und sagt: "Und wir haben doch Fotos! Vor dem Tanzen habe ich schnell meine Kamera einem Freund von mir gegeben. Der macht schon die ganze Zeit Fotos."
Bea dreht sich um und ruft zu einem jungen Mann, der an der Theke steht:
"Hallo, Peter! Komm, setz dich doch zu uns!"

Peter ist etwa 25 Jahre alt, hat lange blonde Haare, einen Vollbart und trдgt eine Jeansjacke und eine schwarze Lederhose. Im linken Ohr steckt ein silberner Ohrring.

'Rocker oder Musiker', denkt Mьller.

Langsam geht der Mann zu den dreien und setzt sich.
"Hey, das war eine Supernummer, die ihr da gebracht habt! Echt spitze. Ich glaube, das werden auch gute Fotos. Hier ist die Kamera."
Er gibt Bea den Fotoapparat.
"Tausend Dank, Peter. Das ist ьbrigens Barbara Bцhm, und das ist mein Chef, Helmut Mьller."

Peter gibt den bei den die Hand. Zusammen trinken sie noch etwas, dann verabschieden sich Mьller und Barbara Bцhm von Bea und Peter.
Der Detektiv fдhrt Barbara nach Hause. Beim Abschied sagt er:
"Schцnen Dank fьr den herrlichen Abend, Frau Bцhm! Ich habe heute viel von Ihnen gelernt. Sie sind eine wunderbare Frau!"
"Und Sie sind ein sehr sympathischer Detektiv, Herr Mьller! Gute Nacht!"

12

Fьr den nдchsten Tag verabreden sich die drei vor dem Schwimmbad Schцneberg. Das Schwimmbad ist eines der modernsten in Berlin, mit einem riesigen Sportbecken, Sprungtьrmen und herrlichen Duschen, gebaut in einem hellen, freundlichen Stil. GroЯe Fensterfronten lassen viel natьrliches Licht in die Schwimmhalle. Aber warum muss am Eingang eine groЯe Treppe sein? Warum sind die Umkleidekabinen so klein, dass man sich kaum darin bewegen kann? Warum ist zwischen dem Duschraum und dem Schwimmbecken noch ein kleiner Absatz mit einer weiteren Treppe?
Bea Braun hilft der behinderten Barbara, alle Hьrden zu ьberwinden. Als Barbara endlich im Wasser ist, mьssen beide Detektive wieder staunen:
Sie bewegt sich, gesichert durch einen Schwimmgьrtel, wie ein Delphin, dreht sich im Wasser, dass Mьller glaubt, diese Frau ist eine Profischwimmerin.

"Tja, Herr Mьller, jetzt sagen Sie nichts mehr, wie?"
Lachend dreht sich Frau B
 

 Frau Bцhm zu dem Detektiv, der mьhsam hinter ihr herpaddelt. "Schauen Sie, fьr uns Behinderte ist das Wasser ideal. Hier sind wir wirklich gleichberechtigt. Das Wasser trдgt uns von allein. Hier brauchen wir keine Krьcken und keinen Rollstuhl. Hier sind wir wirklich frei!" Glьcklich lдchelnd schwimmt sie mit einigen krдftigen StцЯen an den Beckenrand.

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Zehn Tage lang arbeiten die drei an der Reportage. Gemeinsam gehen sie ins Kino, ins Theater, in die Oper. Mit dem Bus der Linie 19 durchqueren sie das Stadtzentrum Berlins, sie machen einen Ausflug mit dem Dampfer auf dem Wannsee, fahren in Mьllers altem Volvo in die Mark Brandenburg und besuchen kleine Dorfgasthцfe. Bea macht Fotos, Mьller Tonaufnahmen. Die Fotos zeigen Menschen, die mit der Rollstuhlfahrerin sprechen. In manchen Gesichtern sieht man Ьberraschung, in anderen Ablehnung oder Mitleid.
Ein дhnliches Ergebnis bringen die Cassettenaufnahmen der Gesprдche. Es gibt Menschen, die ihr Mitleid ausdrьcken, die Verstдndnis zeigen, aber auch viele, die ablehnend reagieren oder keinen Kommentar geben wollen. Aber nur ganz ganz wenige Menschen reagieren 'normal'.
"Normal", sagt Barbara, "sind die Menschen, die uns Behinderte sehen wie alle anderen Menschen auch. Wir wollen gleich fьhlen und leben wie alle anderen. Da darf der Rollstuhl kein Hindernis sein. Weder fьr uns Behinderte noch fьr euch Gesunde."
Eines Tages, als sie das gesamte Material ausgewertet und zusammengestellt haben, sagt Mьller zu Barbara:

"Ach, ьbrigens, ich habe vor ein paar Tagen einen alten Bekannten von mir angerufen. Der arbeitet viel fьr die illustrierte HALLO. Er kommt morgen aus Hamburg hierher und bringt auch gleich einen Redakteur mit. Ich habe den Eindruck, die sind sehr an der Reportage interessiert."
"Was?" rufen Bea und Barbara gleichzeitig. "Das wдre ja phantastisch. "
"Bea, Sie erinnern sich doch noch an Werner Hofinger? Der Fotograf, der mal von einer Rauschgiftbande bedroht wurde?"
"Ja, natьrlich! Ach, das war eine sehr gute Idee von Ihnen, Chef!"
"Danke, Bea, sehr liebenswьrdig. Und damit wir in Ruhe und in angenehmer Umgebung alles besprechen kцnnen, ,habe ich einen Tisch reserviert im Restaurant 'Jahrmarkt' am Savignyplatz. Ьbrigens ein sehr behindertenfreundliches Restaurant mit viel Platz und sehr liebenswьrdigem Personal."

Barbara lдchelt. "Sie haben viel gelernt in den letzten zwei Wochen, Herr Mьller! Ich danke Ihnen!"

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Werner Hofinger und der Redakteur, Otto Gruner, sind begeistert von der Reportage. Hofinger will unbedingt noch mehr Fotos machen, um die Autoren der Reportage den HALLO-Lesern zu prдsentieren. Anfangs mag Mьller nicht, aber als auch Barbara Bцhm darauf besteht, gibt er nach. So entsteht noch ein schцnes Gruppenbild von den dreien, das dann auch auf der Titelseite der Illustrierten verцffentlicht wird.

Ьbrigens, lieber Leser, liebe Leserin, wenn Sie mal in Berlin sind und Lust haben zu tanzen, empfehlen wir die Discothek SCHUBIDU. Dort kцnnen Sie auch цfter mal einen Berliner Privatdetektiv namens Mьller treffen und beim Tanzen beobachten. Mit wem er dort tanzt, verraten wir aber nicht. Das ist schlieЯlich seine Privatangelegenheit, oder?

ENDE
 

 Es waren die Augen
von Eva Wittmann

»Du musst verrьckt sein«, war Ellis Kommentar gewesen, und ich konnte es ihr nicht verьbeln. Wer tritt schon solch eine Reise nur wegen ein paar blauer Augen an. Aber ihre Spitzen lieЯ ich nicht auf ihm sitzen. Er entsprach zwar keinem gдngigen Ideal, aber er sah gut aus. Fьr mich sah er gut aus. AuЯerdem findet Erotik im Kopf statt.

Als er die Restauranttьr цffnete, war so viel in meinem Kopf los, dass dafьr gar kein Platz war. Die Ruhe, mit der er die Zigarettenschachtel цffnete, das Papier langsam zerknьllte. Damals machte sie mich noch nervцs. Als er mir eine Zigarette anbot, tauchte ich vorsichtig in den tiefblauen Ozean. Bei dieser ersten Begegnung fьhlte ich mich wie eine Schatzsucherin, die die Kombination fьr das Schloss sucht, noch bevor sie wusste, wo die Truhe lag.

Was sollte ich erwarten? Ich kam hier angeschneit mit einem Minimum an Information, aus dem meine Fantasie gesponnen war. Wдre da nicht dieser Blick gewesen. Ja, die Augen. Es waren die Augen. Von Anfang an waren es die Augen gewesen. Ich konnte es mir nicht erklдren. Sie waren unglaublich vertraut. An unser Gesprдch kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an die Pausen. Ich fьrchtete, er kцnnte mein Herz klopfen hцren.

Wir trafen uns hдufig. Meistens kurz. Lange genug, um meiner Fantasie neue Nahrung zu geben. Bei ihm dachte ich oft ans Wasser. Mir war, als wandelte ich mich durch ihn zum Meereswesen. Er machte mich zur Undine, lehrte mich, Widerstдnden mit Eleganz zu begegnen. Es geschah ohne Eile. Ich mochte die Ruhe. Ich mochte sein Lachen. Die Augen liebte ich von mal zu mal mehr. Und eigentlich war es aufregend, sein Geheimnis am Grund nur durchschimmern zu sehn.

An einem Morgen holte er mich ab.
»Nun, wohin entfьhrst du mich?«
»Lass dich ьberraschen.«

Wдhrend der Fahrt sprachen wir kaum, und ich genoss es, dass Schweigen so angenehm sein konnte. Oben auf dem flimmernden Lava-Plateau hielt er so, dass wir auf Meer und Berge blickten.

»Schau, drьben liegt Sьdamerika. Es war frьher der Weg in die neue Welt. Und was dort rausschaut, ist die Deseada.«
»Deseada?«
»Ja. Die Erwьnschte. Sieh sie dir genau an.«
Seine Hдnde zeichneten die Form nach. Dann fragte er: »Befriedigst du dich eigentlich gerne selbst?«

Meine Antwort war »Ja«, und ich wunderte mich wie klar und direkt es kam. Der kurze Moment, den er mich danach anschaute, erinnerte mich wieder an das Foto. Elli hatte es vor Monaten aufgenommen, ohne auch nur zu ahnen, damit den ersten Strang geknьpft zu haben. Im Moment befand ich mich in Schwindel erregender Hцhe, spьrte das wankende Hдngegeflecht unter den FьЯen und war froh nicht zu wissen, wo es hinfьhrte.

Es war verrьckt. Alles ver-rьckte, rьckte von dem ab, was ich bis dahin fьr meine Persцnlichkeit gehalten hatte. Es geschah in dem Moment, als ich meine nackten FьЯe ans Armaturenbrett legte. Ich beobachtete mich dabei, beobachtete, wie diese Frau, die ich selbst war, ihr Kleid nach oben schob. Ich beobachtete die schlanken Hдnde, wie sie entschlossenen den rasierten Hьgel freilegten. Von der sonnengebrдunten Haut hob sich das kahle Dreieck geradezu leuchtend ab. So strahlend, so hell, so дsthetisch, dass man es schцn finden musste. Meine Hдnde streichelten die Innenseiten der Schenkel, und ich dachte dabei an den Weg in die neue Welt. Was ich hier tat, war vielleicht nicht normal, aber... vielleicht war ich deshalb gekommen? Ьber die weiЯe Dьne zum Meer. Und irgendwann wьrde ich eintauchen.

Ohne aufzuhцren schaute ich zu ihm hin. Er lдchelte und nickte wieder. Dann sagte er leise: »Es ist schцn. Ich mag es.«
Ich rutschte tiefer, den Kopf angelehnt, schloss die Augen und wusste, er schaute mir zu
 

 . Er schaute genau hin, wie meine Hand sich tiefer bewegte. Ich tat etwas, an das ich im Traum nicht gedacht hдtte, nur weil er da war. Er war da und begleitete mich auf dem Weg zu verborgenen Schдtzen. Meine Finger fanden die Perle, umrundeten sie sanft. Er wьrde nichts tun, wьrde mir weiter zusehen und warten. Wenn geschehen lassen auf jemanden passte, dann auf ihn. Er wartete. Vielleicht erwartete er doch etwas? Vielleicht erwartete er... Sollte oder wollte ich?

Seine Hand legte sich warm auf meinen Schenkel. Ruhig und warm vertrieb sie den Dдmon. Irgendwo aus dem Meer hцrte ich ein Flьstern und atmete durch. Doch, es sollte sein, musste sogar so sein. Deshalb war ich gekommen. Als sich seine Hand behutsam lцste, hielt ich sie fest. »Bleib da!« Meine rechte Hand bewegte sich weiter, und wдhrend sie spielte, wurde ich leicht. Es puckerte. Ich legte die Hand auf die Muschel und lauschte. Das aufgeregte Puckern beruhigte sich, wurde zu festerem, stetigem Pochen. Es pochte und pochte... Der Puls zwischen den Schenkeln pochte mir bis in den Kopf. Es hatte mit nichts zu tun, was ich kannte, war eher innere als дuЯere Erregung. Es war schцn.

Ich lieЯ meine Hand liegen, lieЯ mich treiben, lauschte dem Meer und drьckte seine Hand. Leise begann er zu sprechen. Ob zu mir oder ihr? Sie verstand. Durstig sog sie die Worte ein.

Er bewunderte sie, gab ihr schцne Namen. Sie genoss. Jedes Mal wenn er sagte, wie schцn sie sei, seufzte sie auf. Sie genoss und war glьcklich. Dabei цffnete sie sachte ihre feuchten Lippen, forderte: Weiter, noch mehr. Die Verstдndigung zwischen ihm und ihr entzog sich meiner Kontrolle. Und ich lieЯ sie machen. Einzige kцrperliche Verbindung waren unsere Hдnde. Die eigentliche Berьhrung fand woanders statt. Ich lauschte dem Puls, seinen Worten. Er lauschte ihr.
Ihm gefiel das Spiel mit den Worten. Ihm gefiel, dass es ihr gefiel. Er wagte sich vor. So weit, dass sie vor Schreck zusammenzuckte. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Doch unter meiner Hand spьrte ich das Jagen. Der Puls ьberschlug sich beinahe. Er trieb an, suchte ein Ziel. In meinem Kopf hдmmerte es und ich tat nichts. Nichts als lauschen - dem Puls und den Worten. Das Foto hatte es mir versprochen. Es hatte mir schon damals davon erzдhlt. Seine Hand hielt ich fest. Als er sich ьber mich beugte, цffnete ich die Augen und tauchte in seinen klaren Ozean.

»Sprich weiter. Ich mag es - sogar die Worte, die gar nicht zu dir passen.«
»Das weiЯ ich.«
»Dann sag sie nochmal.«
Und er sagte es wieder. Ich beobachtete mich, beobachtete mich wie eine AuЯenstehende. Ich war stolz, die Hьrde zu nehmen, war stolz, geschehen zu lassen.
»Sag's nochmal.«
Und er sagte es wieder. Er nannte sie hьbsche Fotze, schцne Fotze, geile Fotze - nannte sie Fotze. Es klang wie ein magisches Wort. Es war ein Kompliment. Ich las es in den Augen, spьrte es an der Hand und hцrte es an der Stimme.
»Sag's nochmal. Sag's immer wieder. Ich will es hцren.« Ich wollte wirklich. Sie wollte auch. Es war die perfekte Verstдndigung zwischen ihm und ihr. Sie reagierte von allein. Reagierte auf etwas, das mir genauso wenig erklдren konnte, wie dieses Klopfen im Kopf. Meine Hand lag auf dem kahlen Hьgel. Ich lieЯ geschehen und es geschah.
Es geschah ohne Berьhrung. Ьber die weiЯe Dьne zum Meer.
Die Flut kam von weit her. Fast lautlos rollte sie an.
Ich lieЯ es geschehen. Langsame rhythmische Wellen, deren Krдfte im Nichtbegreifbaren lagen. Ich lauschte den Hьterinnen des Ozeans, las es in seinen Augen.
Hauchfeiner Schleier der Ewigkeit. Ich lieЯ mich tragen, lieЯ es flieЯen. Es trug mich sachte, unendlich sachte. Ьber die weiЯe Dьne zu mir.

Danach schauten wir beide schwe
 

 igend aufs Meer.

ENDE
 

 ok das ist zu lang

koennen sie Worte sparen und einfache ausdruecken)))))))))))
 

 Vielen Dank, Dmitrij!

Gibt es etwas noch?
 

 nie habe davon gedacht. danke, Dima.
 

 Большое спасибо! Скачала в файл, с удовольствием прочту.
 

 Gibt es ,bitte, noch was zum Lesen?
 

 Dima! Vielen Dank!!
 

 ну уж оочень "легкое" чтение)))))
 

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